Ich muss gestehen: als ich begann, den Spiegelartikel „Allein mit dem Virus“ (Nr. 19 / 8. Mai 2021) zu lesen, kamen mir kurz die Tränen. Und dann wurde ich wütend, als ich las: „Inzwischen sind längerfristige Studien erschienen, die belegen, dass sich die Pandemie massiv auf den Alltag von Kindern und Jugendlichen auswirkt.“ Wer erst langfristige Studien braucht, um zu dieser Erkenntnis zu kommen, hat von Kindern und Jugendlichen keine Ahnung. Das lag doch auf der Hand. Aber die politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie waren kurzsichtig und haben die Bedarfe und Rechte von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien nicht priorisiert. Ob das auch daran liegt, dass die politischen Entscheidungsträger rund um die Uhr beschäftigt und im permanenten Austausch mit ihresgleichen sind? Digital und auch analog? Und nicht mehr wissen, wie lang ein Tag, wie lang Wochen, wir lang Monate ohne die Erfahrung von Selbstwirksamkeit werden können? Und ohne die Aussicht auf ein Ende dieses Zustands?
Es wird viel über die Schulen geredet und was diese versäumt haben. Und ich kann das in weiten Teilen bestätigen. Aber ich weiß auch von Schulen und Lehrer*innen, die kreativ wurden und alles daransetzten, Wege zu finden, um die Kids und Jugendlichen, die wir ihnen anvertrauten, bei der Stange zu halten und durch die Krise zu bringen. Ihnen zu ermöglichen, was jetzt Wichtiges zu lernen, anderen zu begegnen, Spaß zu haben, Selbstwirksamkeit und „Gemeinschaftswirksamkeit“ zu erfahren. Ich habe allerdings auch davon gehört, dass Schulen in Deutschland tolle Ideen vorlegten, um Schule zu machen, aber dann wurden diese Ideen von der Politik ausgebremst. Begründung: Es darf keine Ausnahmen geben! Aha. Und warum nicht? Solche Erfahrungen ermüden und rauben allen Beteiligten die Kraft, die sie brauchen, um andere durch die Krise zu führen.
Übrigens halte ich persönlich die Unterscheidung „analog oder digital“, was den Schulunterricht selbst angeht, nicht für so entscheidend. Auf einer Reise durch Australien habe ich die „school of the air“ kennen gelernt. Ein Schulsystem, das schon seit hundert Jahren übers Internet (bzw. früher übers Radio) organisiert ist und zugleich mit dem privaten Lebensumfeld der Schülerinnen und Schüler kooperiert – und erfolgreiche Ergebnisse vorweist.
Wenn ich meinen Sohn frage, was ihm am meisten fehlt, so ist das übrigens nicht die Schule. Es ist seine Freizeit: Parcourstraining, Tanzschule, mit Freunden losziehen. Aus Selbstschutzgründen stellt er sich darauf ein, dass bis zu den Sommerferien mit nichts davon zu rechnen ist. Aber er und seine Freunde machen Pläne für den Sommer. Haben Spaß am gemeinsamen Planen: ein Pfadfinderlager, ein Sommerfest, eine Reise ans Meer…
Es ist erst Mai, doch meine Gedanken sind im Sommer. Und ich erwarte von der Politik, dass sie alles daransetzt, die Sommerferien von Kindern und Jugendlichen zu retten. Alles dafür zu tun, dass in diesen Sommerferien Sport- und Freizeitcamps, Sommerlager und von mir aus auch Lerncamps stattfinden dürfen. Analog. Wir haben die Mittel dazu in der Hand: Wir haben Freizeitheime, die sich nach Kinderfreizeiten und Kinderlachen sehnen – und die genügend Raum für eine vorgeschaltete Quarantänezeit in Kleinst-Gruppen haben. Wir haben Zeltplätze, deren Lagerfeuer auf Stockbrot warten und die genügend frische Luft liefern. Wir haben Sportplätze, die Freiraum bieten, um sich endlich mal wieder so richtig auszutoben. Wir haben Tests, wir haben Quarantänemöglichkeiten, wir haben Impfungen, und wir haben Zeit. Zeit im Überfluss! Gestalten wir sie! Lasst uns nicht länger so leben, als säßen wir im Wartezimmer. Leben ist jetzt. Auch mitten in der Pandemie. Wer weiß, vielleicht wird´s ja noch schlimmer? Vielleicht kommt ja noch ein Supervirus? Dann müssen unsere Kids erst recht ihre Krafttanks wieder aufgefüllt haben! Leben ist jetzt.
Und fragt nicht, wer das bezahlen soll. Es wird höchste Zeit, dass unser gemeinsames Geld dorthin fließt, wo es seine Wirksamkeit entfalten kann wie in sonst vermutlich keinem anderen Bereich: bei unseren Kindern und Jugendlichen.
P.s.: Und falls es der Politik mal wieder an kreativen Ideen fehlen sollte – ruft mich an. Oder die vielen anderen Kreativen im Land, die fast immer einen Weg finden, wenn man ihnen mal ein bisschen Freiheit lässt.