Anfang März habe ich Geburtstag. Jedes Jahr wieder.
Am 11. März 2020 habe ich im letzten Jahr gefeiert. Nachgefeiert. Ich habe gerade so viele Freunde eingeladen, wie an unseren Tisch passen. 11 Menschen. Ich habe gekocht, festlich gedeckt, Kerzen angezündet und den besten Wein kredenzt, den ich hatte.
Von meinen meinen Gästen hatte ich mir schon im Voraus gewünscht, dass wir gemeinsam ein Lied singen und spielen: House with a crowded table. Diesen Song, den ich auf der RAD-Tagung im Februar 2020 zum ersten Mal gehört hatte und der mich tief berührte. Im September 2019 wurde es rausgebracht, von der amerikanischen Frauenband Highwomen – die Hohen Frauen – oder auch die Hohepriesterinnen. Und im RAD-Schlussgottesdienst wurde der Song so wunderbar von den RAD-Sängerinnen vorgetragen.
Wir haben das Lied bei mir zuhause an meinem großen runden Tisch dreimal gespielt. Zweimal geübt und einmal performed. Klavier, Gitarre, Bass, Cajon, Gesang… Nur für uns selbst. Richtig laut. Das ganze Haus war voller Klang. Und jedes Wort, das wir gesungen haben, meinten wir auch so. In Übersetzung:
„Ich will ein Haus mit einem Tisch voller Menschen, und einen Platz am Feuer für alle. Nehmen wir es mit der Welt auf, solange wir jung und fähig dazu sind. Und dann kommen wir wieder zusammen, wenn der Tag vorüber ist. Die Tür ist immer offen. Dein Bild hängt an meiner Wand. Jeder ist ein bisschen gebrochen. Aber jeder und jede gehört dazu.“
Corona war bereits am Rande Gesprächsthema, zu meinen Gästen gehörte auch ein Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank. Deren Belegschaft gerade ins Homeoffice geschickt worden war. Und wir diskutierten darüber, ob und wie dieses Virus unser Leben verändern könnte. Wenige Tage später kam der erste Lockdown.
Vielleicht, weil es der letzte Abend war, an dem ich mit Freunden gefeiert habe … Vielleicht, weil es das letzte Lied war, dass ich mit anderen zusammen gesungen habe … Ganz real. Ganz laut und nah beieinander … Jedenfalls geht mir das Lied seitdem nicht mehr aus dem Sinn. Und dazu dieses Bild von dem Tisch voller Menschen … Es ist für mich zu einem Hoffnungsbild geworden. Daran werde ich, Miriam, erkennen, dass die Krise vorbei ist: Wenn ich mit meinen Freundinnen und Freunden wieder unbeschwert um einen Tisch herumsitzen und essen, reden, lachen, singen und feiern kann.
In Krisenzeiten entwickeln Menschen Hoffnungsbilder. Auch die Krisenbücher der Bibel sind voll von ihnen, allen voran die Offenbarung des Johannes. Kapitel 7: „Danach sah ich – sieh doch: eine große Menschenmenge. Niemand konnte sie zählen. Es waren Menschen aus allen Nationen, Stämmen, Völkern und Sprachen. Die standen vor dem Thron und vor dem Lamm. Sie trugen strahlend weiße Gewänder und hielten Palmenzweige in ihren Händen. Und sie sangen mit lauter Stimme ….“
Ein ähnliches Hoffnungsbild wie meines – eine singende Gemeinschaft – nur viel größer. Ein realer überdimensionaler Gottesdienst, zu dem Hunderthausende kommen und feiern.
Nun kann es natürlich sein, dass wir hier in eine Falle tappen und in der Krisenzeit daraufsetzen, dass es danach wieder so wird wie früher, nur noch viel schöner und größer. Dabei können wir noch nicht wissen, wohin uns die Krise führen wird. Wie unser Leben, wie unsere Gesellschaft, wie unsere Kirche nach der Krise aussehen wird. Wir wollen, dass es gut wird. Aber wie dieses Gut aussieht – das wissen wir noch nicht. Was also ist jetzt zu tun?
Der Text der zweiten Strophe des Songs House with a crowded table lautet übersetzt:
„Wenn wir einen blühenden Garten wollen, müssen wir Blumen säen. Etwas Glück pflanzen und es tief wurzeln lassen. Und wenn wir Liebe säen, werden wir Liebe ernten.“
Ich kann nicht wissen, wie das wachsen wird, was ich jetzt säe. Aber ich säe. Ich weiß noch nicht, wie der Garten später aussehen wird. Aber ich will gute Saat aussähen. Für die Zeit danach. Ich will auf Zukunft hin entscheiden und handeln.
Die stärkste Eigenschaft von Hoffnungsbildern ist: dass sie jetzt schon unsere Verhalten bestimmen. Mein Hoffnungsbild leitet mich: Ein Haus mit einem Tisch voller Freunde – in welcher Form auch immer. Daran werde ich erkennen, dass die Krise vorbei ist. Und was tue ich schon jetzt? Ich pflege meine Freundschaften – noch mal ganz neu. Reaktiviere manche Beziehungen. Ändere in manchen Freundschaften die Dimension, stelle sie auf eine neue, tiefere Basis. Und freue mich schon jetzt auf auf ein Wiedersehen, nicht nur im kleinen, sondern im großen Kreis!
Woran wirst du erkennen, dass die Krise vorbei ist?
Woran werden wir als Gesellschaft erkennen, dass die Krise vorbei ist?
Was ist dein Hoffnungsbild?
Was leitet dich im Denken und im Tun?
Liebe voller Gott, du weißt, wonach wir uns sehnen … All unseren Dank für das, was uns jetzt an Gutem gegeben ist, und all unseren Schmerz über das, was uns fehlt, und all unsere Hoffnung auf das, was uns in die Zukunft zieht, nehmen wir uns zu Herzen und gehen mutig weiter.